Meine letzte Ferienwoche ist angebrochen. Die letzte Woche meines Zwischenjahrs. Noch eine Woche, bis mein Studium beginnt. In mir sind gemischte Gefühle. Teils Vorfreude auf neue Herausforderungen, teils Panik, diesen Herausforderungen gewachsen zu sein. Ungewissheit, ob dies der richtige Weg sein wird… Und dann beruhige ich mich wieder: Du kannst es nur herausfinden, wenn du es ausprobierst und befindest dich jetzt an diesem Punkt, weil du deinem Bauchgefühl gefolgt bist – das kann nur in die richtige Richtung führen, wo immer die auch hinführt :). Warum also Panik schieben, wenn sich mein Alltag sonst gerade so richtig anfühlt und das Fernwehkitzeln eher noch ein angenehmes in Erinnerungen schwelgen ist?
Allerdings zieht es mich hinaus in die Natur. Es reizt mich wieder einmal, etwas neues zu entdecken. Wie bereits in vorhergehenden Beiträgen betont, geht dies auch in der näheren Umgebung.
Also hinein in den Zug und ab nach: Lauterbrunnen, wo ich mir sogleich im Touristenzentrum einen Plan der Sehenswürdigkeiten besorge. Einfacher könnte es nicht sein. Ein Spaziergang von rund 2 Stunden führt von Lauterbrunnen nach Stechelberg. Im Tal der sage und schreibe 72 Wasserfälle trifft man auf dieser Strecke auf einige der bekanntesten und wohl auch spektakulärsten, die sogar Dichter wie Goethe zu berühmten Werken inspiriert haben.
Zu Beginn begrüsst mich der Staubbachfall, der seinen Namen daher hat, dass das Wasser an windigen Tagen ähnlich wie eine Staubwolke aufgewirbelt wird. Er ist das Wahrzeichen von Lauterbrunnen und der höchste freifallende Wasserfall der Schweiz. Ein Gehweg führt durch einen Tunnel bis zum Wasserfall und nach wenigen Treppenstufen stehe ich plötzlich direkt unter ihm. Frische Wassertropfen kühlen mich an diesem heissen Spätsommertag ab. Einzelne Tropfen springen vom feinen Wasservorhang weg und glitzern zauberhaft im Sonnenlicht. Es erinnert mich beinahe an die Vulkan-Feuerwerkskörper, bei denen beim anzünden eine Art Feuermännchen wegzuspringen scheint. Oder wie glitzernde Lametta, die in der Weihnachtszeit wieder überall zu sehen sein wird. Verständlich, dass Goethe bei diesem Anblick von der Muse geküsst wurde.
Mit strahlendem Gesicht setze ich den Spaziergang fort, blicke nochmals zurück zum 297m hohen Staubbachfall, dessen Wasserstrahl ein wunderbares Schattenspiel auf die dahinterliegende Felswand wirft, bevor ich schliesslich den trockenen Spissbachfall und anschliessend den Buchenbachfall erreiche.
Doch eigentlich zieht es mich woanders hin. Der Trümmelbach, welcher allein für die Entwässerung von Eiger (3970m), Mönch (4099m) und Jungfrau (4158m) zuständig ist, setzt sich zusammen aus 10 Gletscherwasserfällen, die im Berginnern liegen. Dahin möchte ich, denn wann kriegt man schon mal die Gelegenheit, Wasserfälle im Innern eines Berges zu sehen? Gegen Bezahlung des Eintrittspreises darf ich die Sehenswürdigkeit betreten und fahre gemütlich mit dem Lift zu den höchsten Wasserfällen. Beim Aussteigen dann plötzlich der Kälte- und Lärmschock. Hier drinnen ist es eisig kalt! Was für ein Kontrast zu den gefühlt 30 Grad im sonnigen Lauterbrunnental. Ein Mitgrund ist sicherlich das Gletscherwasser. Bis zu 20’000 Liter Wasser fliessen hier pro Sekunde die Bergwände hinunter. Die Macht dieses Elements wird nochmals durch den entsprechend verursachten Lärm des fliessenden Wassers verdeutlicht, sowie durch die geschlängelten Felsspalten, welche durch die Verwitterungseinflüsse des Gletscherwassers entstanden sind.
Die Trümmelbachfälle rauben mir den Atem! Nicht nur die kühle Luft lassen mir Tränen in die Augen schiessen. Hier im Berginnern, wo der Lärm des Wassers die Gespräche der weiteren Besucher übertönt, empfinde ich plötzlich pure Ausgeglichenheit. Es ist dasselbe Gefühl, welches mir das Reisen Tag für Tag beschert hat und es jedes Mal aufs neue tut. Neue Naturschauspiele zu entdecken, die Faszination für das Erdgeschaffene und eine Zufriedenheit im Alleinsein.
Energiegeladen verlasse ich den Pfad der Trümmelbachfälle, werde sogleich von den Sonnenstrahlen wieder aufgetaut und lerne noch das englische Wort für Raupe (Caterpillar), als ich zwei Engländer auf ein unseren Weg kreuzendes Kriecherchen aufmerksam mache.
Auf zum Buchenbachfall, dem 380m hohen Wasserfall, der in der Falllinie von „The Nose“ liegt, einem weltbekannten Abspringpunkt für Basejumper. Von denen kriege ich heute zwar keine zu Gesicht, jedoch scheinen die Wetterbedingungen ideal für zahlreiche Gleitschirmflieger, die während meines Spaziergangs immer wieder auf den grünen Wiesen neben mir landen.
Und wer jetzt denkt „nicht noch ein Wasserfall“, der hat nicht mit dem letzten Highlight, dem Mürrenbachfall gerechnet! Voilà – la beauté. Seit Bali bin ich verliebt in, ich nenne sie jetzt mal, „breitgefächerte“ Wasserfälle. Hingegen zu den mächtigen und imposanten Fälle, deren Wassermasse in einem Strahl hinunterkracht, wirken die Fälle mit aufgeteiltem Wasserstrahl auf mich viel magischer, schon richtig beruhigend.
Der Mürrenbachfall ist mit seinen 417 Metern der höchste Wasserfall der Schweiz! Die Grösse wird nochmals richtig bewusst, bei der Gondelfahrt von Stechelberg nach Gimmelwald. Hier oben eröffnet sich mir nochmals eine ganz andere Perspektive auf das Lauterbrunnental und die Aussicht auf der Fahrt via Mürren nach Grütschalp und wieder hinunter nach Lauterbrunnen ist der krönende Abschluss eines wunderbaren Ausflugs.
Comments